Vom 3.-6.Oktober fand eine Herbst-Wanderfahrt der RGT mit 15 Teilnehmern auf dem Neckar statt. Der Termin war gewählt worden, da am üblichen Wanderfahrt-Termin zu Pfingsten die Schleusen auf dem Neckar geschlossen sind. Neben dem Rudern gab es auch noch zwei Termine an Land, nämlich eine Nachtwächterführung am Abend in Bad Wimpfen und eine Besichtigung der berühmten Ruderbootwerft Empacher in Eberbach. Als Gast war Michael O’Sullivan aus Irland dabei, ein Ruderfreund des Fahrtenleiters aus gemeinsamen Studientagen in Cambridge. Michael hat uns folgenden Fahrtenbericht in Briefform übermittelt:
An meinen alten Freund Burkhard und alle meine neuen Freunde, vielen Dank! Das war eine fantastische Reise, die mir auf so vielen verschiedenen Ebenen Freude bereitet hat: als Gelegenheit, Deutschland noch einmal zu erleben, ein Land, das ich zu wenig besucht habe, seitdem ich in München vor mehr als vierzig Jahren zwei Semester lang studiert habe; als einzigartiges Rudererlebnis für mich, da ich noch nie bei einer mehrtägigen Wanderung auf einem so mächtigen Fluss durch so bezaubernde Landschaften gerudert war; aber vor allem als Gelegenheit, Eure Gesellschaft zu genießen, mit der großen Herzlichkeit und dem Sinn für Spaß, den Ihr in den Gemeinschaftsrudersport und in das Leben im Allgemeinen einbringt.
Ich glaube schon seit langem, dass ich täglich immer neues lernen sollte. Die erste pädagogische Herausforderung der Reise bestand noch vor der Abreise aus Irland nach Deutschland darin, herauszufinden, wie man nach Bad Wimpfen eigentlich gelangt, einem Ort, der (wie ich später erfuhr, völlig unverdient) im Dunkeln lag. Laut DB-App war die Stadt vom Flughafen Memmingen in knapp drei Stunden und mit nur drei Umsteigen erreichbar. Aber das Schicksal hatte für mich am Tag vor Beginn des Ruderns ein gründlicheres Aufwärmprogramm vorbereitet. Eine Zugverspätung machte den zweiten Anschluss unmöglich, aber die bewundernswert anpassungsfähige App leitete mich auf eine alternative Route um, die nicht weniger als fünf Zugwechsel erforderte, von denen zwei nur im Sprint zwischen den Bahnsteigen möglich waren.
Der Tag hatte früh begonnen, als ich um 3 Uhr morgens halb bewusstlos aufgestanden war, um den Flughafenbus von Cambridge nach London Stansted zu nehmen. Der DB-Hindernisparcours verschlechterte meinen Zustand der Benommenheit noch weiter, und als ich Bad Wimpfen erreichte, war ich fast katatonisch. Kaum hatte ich begonnen, alle Eure Namen zu lernen, da wurden wir von einem fröhlich bedrohlichen Menschen in seltsamer Tracht, der sich nicht sicher zu sein schien, ob seine furchterregende Waffe nur dekorativer Natur war, durch die Antiquitäten der Stadt geführt. Seine Verwendung einer exotischen Variante des gesprochenen Deutsch, die mir bisher unbekannt war, verstärkte das Gefühl des Mysteriums und hinterließ bei mir möglicherweise ein verzerrtes Verständnis der glorreichen Vergangenheit von Bad Wimpfen. Es begann einen Sinn zu ergeben, als mir klar wurde, dass sich „Käsestadt“ auf den obersten Führer des Heiligen Römischen Reiches und nicht auf Emmentaler bezog. Was ich glaube zu verstehen, war, dass die Stadt dank ihrer tadellosen reformistischen Glaubwürdigkeit und trotz einer Vorliebe für die Zerstörung öffentlicher Denkmäler durch fehlgeleitete Versuche, sie zu verbessern und zu erhalten, jahrhundertelang weitgehende rechtliche Straflosigkeit genossen hatte, zumindest theoretisch, und deshalb bedauerte sie eher den Beginn der Moderne. Nun ja, vielleicht habe ich einiges davon richtig verstanden.
Schon früh am ersten Rudertag war ich beeindruckt von der perfekten Logistik, die dazu geführt hatte, dass zwei Neckar-taugliche Vierer am Flussufer in der Nähe unseres Hotels bereits platziert waren. Als Spätankömmling, der die harte Arbeit verpasst hatte, fühlte ich mich wie ein Kind an einem englischen Weihnachtsmorgen, wenn wir aufwachen und unsere Geschenke auf magische Weise um den Baum herum angeordnet vorfinden. Aber dann wurde erklärt, dass einem Boot Sculls sowie Ruder fehlten, und zum ersten Mal wurde ich Zeuge, weder von Panik noch Schuldzuweisungen, sondern jener bewundernswerten Eigenschaft, die die Gruppe während der Reise mehrmals an den Tag gelegt hatte und die sicherlich eine lange gemeinsame Geschichte widerspiegelt, in der es darum ging, aus den Klauen der Katastrophe den Sieg zu erringen. Um mich herum herrschte eine stille Zuversicht, dass alles doch gut ausgehen würde. Dieser Optimismus wurde bald erfüllt, als die fehlenden Gegenstände im Hänger gefunden wurden. Ich machte mir im Kopf eine Notiz: wenn es so aussieht, als ob alles auseinanderfällt, geh einfach mit dem Strom und bleib froh. Ja, wir hätten beinahe ein Boot in einer Schleuse verloren und beinahe wurde ein Steuermannsitz abgebrochen, als wir ein Boot auf den Hänger gehoben haben, aber keine dieser Fiaskos würde jemals wirklich passieren.
Wir hatten das Glück, vier nahezu regenfreie Tage ohne Nebel, Donner und Sturm, freie Ausblicke auf die Natur- und Mittelalterpracht des Neckartals und zugängliche Landeplätze an allen Haltestellen zu genießen. Letzteres war natürlich nicht der Vorsehung zu verdanken, sondern wie so vieles andere war es das Ergebnis der fachmännischen Planung unseres geschätzten Anführers, meines alten Studienfreundes Burkhard. Was für ein bewundernswerter Führungsstil, der die freie und uneingeschränkte Äußerung aller Meinungen zulässt, ohne die Qualität der bereits getroffenen Entscheidungen in irgendwelcher Weise zu gefährden. Auch hier kann ich etwas lernen. Demokratie ist eine wunderbare Sache, aber ohne begabte Führung ist sie nicht einmal in der Lage, sogar eine Toilettenpause zu organisieren, wie sich auch gezeigt hat.
Der Besuch in der Empacherwerft in Eberbach war ein unerwartetes, einmaliges Erlebnis. Ich habe noch nie Rennschalen in der Herstellung gesehen. Meine Faszination für Technologie und Tradition vermischte sich mit der ziemlich beunruhigenden Erkenntnis, dass ich jahrelang mit nichts anderem als vielen in einer Mulde zusammengeklebten Plastikplanen auf dem River Cam auf und ab gerast bin.
Neckarsteinach
Heidelberg
Nichts ist vergleichbar damit, eine wunderschöne Gegend von einem Boot aus zu genießen, den Körper zu trainieren und den Geist zu entspannen, während wir uns stetig vorwärts bewegen, bei dem rhythmischen Rauschen der Sculls, dem Gleiten der Rollbahnen und dem Klicken der Dollen. Und mit der tollen Gesellschaft, dem guten Abendessen und dem ausgezeichneten deutschen Bier und Wein, auf die ich mich am Ende des Tages freuen konnte, wollte ich nicht, dass es zu Ende ging. Ein paar Hinweise, die ich in verschiedene Richtungen fallen ließ, dass mit einer Überarbeitung unserer Zeitpläne einige von uns vielleicht weiter rudern könnten, hatten leider keinen Einfluss, und wie alle wunderbaren Erfahrungen endete es in dem immer noch brennenden Wunsch, dass es weitergehen würde, wenn nicht für immer, dann zumindest bis nach Trier über Rhein und Mosel.
Herzlichen Dank, dass Ihr mich so gastfreundlich willkommen geheißen habt und dass ich auf der Neckarruderwanderung 2024 mitrudern durfte. Es war ein unvergesslicher Urlaub, der mich zu einem Befürworter der Ruderwanderung gemacht und eine lebenslange Zuneigung zu Deutschland und der deutschen Sprache erneuert hat. Möge RG-Trier gedeihen und möget Ihr alle noch viele schöne Wanderungen auf dem Wasser genießen.
Michael O’Sullivan
Das Reparatur-Team